«Den selbst erzeugten Solarstrom hat man auf sicher»
Im Labor der Berner Fachhochschule in Burgdorf werden seit 1988 PV-Systeme erforscht. Christof Bucher leitet das PV-Labor. Im Gespräch gibt der Professor für Photovoltaiksysteme Einblick in die aktuellen Forschungstätigkeiten und erläutert, wie der Verkauf von Solarstrom in Zukunft aussehen wird.
Christof Bucher, die Kernkompetenz deines Labors ist die folgende: Hier wird geprüft und praxisnah getestet, was die PV-Planerinnen und -Planer und PV-Installateurinnen und -Installateure selber nicht prüfen können. Was fällt alles unter diese Kategorie?
Wir prüfen beispielsweise, ob die Wechselrichter bei Frequenzen über 50.2 Hz tatsächlich ihre Leistung drosseln oder ob ein Wechselrichter bei einem kurzen Spannungseinbruch stabil mit dem Netz verbunden bleibt. Zudem haben wir jüngst geprüft, wie sich ein PV-System mit Leistungsoptimierern im Brandfall verhält. Bei PV-Modulen können wir beispielsweise ausserdem überprüfen, ob und wie stark diese blenden können. Konkret: ob und in welchem Ausmass PV-Module Sonnenlicht so reflektieren, dass es beispielsweise Nachbarinnen und Nachbarn blenden und stören könnte.
Warum ist es wichtig, dass die Wechselrichter ihre Leistung drosseln, sobald sie bestimmte Frequenzen erreichen?
Dafür muss man zuerst Folgendes wissen: Unser Stromnetz in Europa arbeitet mit einer Frequenz von 50 Hertz – von Griechenland bis Dänemark und von Portugal bis Polen. Sämtliche Anlagen, die an dieses Netz angeschlossen sind, laufen synchron und orientieren sich an dieser gemeinsamen Netzfrequenz. Wenn man dann merkt, dass diese Frequenz massiv steigt oder sinkt, ist klar, dass etwas im Argen liegt.
Früher galt deshalb: PV-Anlagen wurden im Stromnetz zwar geduldet – bei Netzproblemen sollten sie sich aber automatisch abschalten. Das war die alte Welt. In der Schweiz galt bis Mitte der 2010er-Jahre darum noch die Vorschrift, dass landesweit alle PV-Anlagen abgeschaltet werden mussten, sobald 50.2 Hertz überschritten wurden.
Heute wissen wir: Wenn sich Photovoltaikanlagen bei einer Störung kollektiv abschalten würden, hätte das gravierende Folgen. Ihr plötzlicher Ausfall könnte das Netz destabilisieren und im Extremfall sogar einen grossflächigen, europaweiten Stromausfall auslösen. Deshalb haben Wechselrichter heute Funktionen, die aktiv zur Netzstabilität beitragen und ein solches Szenario verhindern sollen.
Und um dem vorzubeugen, ist es wichtig, dass sich jede einzelne PV-Anlage korrekt verhält – unabhängig davon, ob es sich dabei um ein kleines Balkonkraftwerk oder um eine grossflächige PV-Anlage auf dem Hausdach handelt.
Welche weitere Bedeutung kommt den Wechselrichtern sonst noch zu?
PV-Module erzeugen Gleichstrom. Dieser kann jedoch nicht direkt im Haushalt oder in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden, da beide auf Wechselstrom angewiesen sind. Die Wechselrichter wandeln den Gleichstrom der PV-Module in Wechselstrom um, sodass dieser dann für die Nutzung im Haushalt oder für die Einspeisung ins Netz geeignet ist.
In der Laborforschung legen du und dein Team ein besonderes Augenmerk auf eben diese Wechselrichter. Woher rührt dieser Fokus?
Es ist eine Notwendigkeit aus der Energiestrategie der Schweiz: Die Bevölkerung hat sich im Rahmen des 2024 angenommenen Stromgesetzes mit einer Zweidrittelmehrheit für einen starken Ausbau einheimischer erneuerbarer Stromerzeuger ausgesprochen. Dies werden zu einem grossen Teil Photovoltaikanlagen auf Hausdächern sein. Unser Energiesystem kann die dafür notwendige Leistung jedoch unabhängig von einem Netzausbau nicht absorbieren, weshalb Lösungen am Netzanschluss selbst gefunden werden müssen. Ohne Lösungen in diesem Bereich wird es keine Energiewende geben. Deshalb forschen wir in diesem Thema.
Kannst du das genauer erklären?
Der Netzausbau allein reicht nicht aus, um die Herausforderungen der Energiewende zu meistern. Ein stärkeres Netz per se löst nicht das Problem, dass zu viel Solarstrom vorhanden ist, wenn die Sonne scheint. Produktion und Verbrauch von Solarstrom müssen im Einklang stehen.
Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Während die Temperaturen im April 2024 hierzulande in der ersten Monatshälfte sehr warm ausfielen, kam es ab Monatsmitte zu einem wiederholten Wintereinbruch und es schneite nochmals bis ins Flachland. Mit dieser Situation hatte niemand gerechnet, da die Wetterprognosen zuvor warmes Wetter vorhergesagt hatten. Die Konsequenz: Die Solarpanels etlicher PV-Anlagen waren vom Schnee zugedeckt und produzierten keinen Strom. Infolgedessen kam es zu einem Stromengpass – letztendlich fehlte uns hierzulande die Leistung von anderthalb Gigawatt. Das ist mehr als die Leistung eines Atomkraftwerks. Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid musste dann kurzfristig Strom im Wert von mehreren Millionen Franken aus dem Ausland einkaufen, um die Versorgung sicherzustellen. Dieser Vorfall zeigt, dass sich der Strombedarf nicht immer flexibel und schnell an die momentane Produktionssituation anpassen lässt.
Mit dem ZEV Strom gemeinsam nutzen
Gemeinsam von lokal erzeugtem Strom profitieren – der Zusammenschluss zum Eigenverbrauch, kurz ZEV, macht genau das möglich. So funktioniert es in der Praxis.
Worauf sollten Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer deiner Meinung nach heute bei der Wahl von PV-Anlage, Komponenten und Anbieter ganz besonders achten?
Weil praktisch alle Produkte praktisch alle Anforderungen erfüllen, kann man heute mit der Produktwahl nicht mehr sehr viel falsch machen – vorausgesetzt, man setzt geprüfte Produkte ein. Ich empfehle, sich insbesondere nach den Erfahrungen anderer zu erkundigen und sich darauf zu stützen.
Produziert die eigene PV-Anlage mehr Strom, als man selbst verbrauchen kann, lässt sich dieser ins Netz einspeisen – und im Rahmen der Einspeisevergütung auch zu Geld machen. Wann ist das tatsächlich sinnvoll und was sollten Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer dazu wissen?
Das ist nicht nur sinnvoll, sondern dringend notwendig. Nicht alle haben die Möglichkeit, eigenen Solarstrom zu produzieren. Zudem sind Hausdächer ein knappes Gut. Sie sollten möglichst nicht verschwendet werden. Das reine Einspeisen von Solarstrom rentiert sich in einigen Fällen zwar nicht, aber der Überschussstrom, der nicht selbst verbraucht wird, kann ins Netz eingespeist werden und bietet den Anlagenbetreibern ein willkommenes Zusatzeinkommen – zusätzlich zu den Ersparnissen durch den eigenen Stromverbrauch.
Für Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer ist wichtig zu wissen, dass PV-Module meist sehr günstig sind und es nicht viel extra kostet, ein paar zusätzliche Module zu installieren. Dass dann etwas mehr Überschuss entsteht, ist verschmerzbar. Wenn dieser wie gesagt verkauft werden kann, generiert das zusätzliche Einkünfte.
Mehr zur Einspeisevergütung erfahren
Was muss ich tun, um die Einspeisevergütung zu bekommen und wie gehe ich dabei vor? Hier werden deine Fragen beantwortet.
Gibt es Trends, die für Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer mit PV-Anlage in Zukunft relevant sein werden?
Ein wichtiger Trend für Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer mit Photovoltaikanlagen entwickelt sich in Richtung eines dynamischen Anlagenbetriebs. Dabei geht es darum, die Einspeisung ins Stromnetz flexibel zu begrenzen – beispielsweise auf maximal 60 Prozent der installierten Leistung. Die eigene Anlage wird dann so eingestellt, dass sie nicht mehr als diesen Anteil ins Netz einspeist. Die dafür notwendige Technik wird direkt an der Anlage installiert.
Der Vorteil: Wer sich dazu verpflichtet, die Einspeisung zu begrenzen – bleiben wir als Beispiel bei den maximal 60 Prozent –, erhält im Gegenzug bei einigen Netzbetreibern eine höhere Vergütung. Das ergibt insofern Sinn, da das Stromnetz dadurch weniger belastet wird und die Netzbetreiber so weniger Geld für den Ausbau des Netzes ausgeben müssen. Diese Ersparnisse können die Netzbetreiber an die Betreiberinnen und Betreiber von PV-Anlagen weitergeben, was bedeutet, dass diese für die Begrenzung der Einspeisung mehr Geld bekommen. Es lohnt sich also am Ende des Tages für beide Seiten.
Wie sieht es denn aktuell diesbezüglich in der Praxis aus?
Schon heute bieten gut ein Dutzend Netzbetreiber in der Schweiz solche Modelle an – Tendenz steigend. In Zukunft wird dieser Ansatz voraussichtlich zum Standard werden. Mit anderen Worten: Wer seine PV-Anlage intelligent und netzdienlich betreibt, wird finanziell belohnt.
Damit das Zusammenspiel zwischen PV-Anlage, Verbrauch und Einspeisung reibungslos funktioniert, rücken auch Energiemanagementsysteme zunehmend in den Fokus der Gesellschaft. Solche Systeme überwachen die Stromproduktion, den Stromverbrauch und die Stromspeicherung im Haushalt laufend und steuern gezielt, wann beispielsweise ein Boiler aufgeheizt oder ein Elektroauto geladen werden soll. Damit ermöglichen sie eine effiziente Nutzung des Solarstroms im eigenen Haus und entlasten gleichzeitig das Stromnetz.
Wer auf ein solches Energiemanagementsystem setzt, macht in meinen Augen bereits den ersten Schritt hin zu einem flexiblen System, das in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Das ist auch deshalb relevant, weil sich die Vorschriften der Netzbetreiber immer wieder ändern werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass sie den in der Nacht produzierten Strom eines Tages höher vergüten oder ähnliches.
Was würdest du jemandem raten, der eine grosse PV-Anlage besitzt, aber relativ wenig vom selbst erzeugten Solarstrom selbst verbraucht?
Dann würde ich über den Einbau eines Batteriespeichers nachdenken. Damit lässt sich der selbst erzeugte Solarstrom zwischenspeichern und zeitversetzt nutzen – beispielsweise in den Abendstunden, wenn die Sonne nicht mehr scheint, aber weiterhin Strom im Haushalt benötigt wird.
Es lohnt sich zudem, die PV-Anlage von Anfang an so zu planen, dass ein Batteriespeicher bei Bedarf auch nachträglich problemlos nachgerüstet werden kann. So vermeidet man unnötige Umbauten und zusätzliche Kosten, wenn man später merkt, dass ein Speicher sinnvoll wäre.
Mehr über Batteriespeicher erfahren
Worauf du bei der Beschaffung eines Batteriespeichers achten musst und wann ein Solar-Speicher wirklich sinnvoll ist.
Gibt es einen weitverbreiteten Irrtum, den du in der Praxis bei PV-Anlagen beobachtest?
Ein Beispiel sind Hauseigentümerinnen und -eigentümer, die sich bewusst für eine Photovoltaikanlage nur für den Eigenverbrauch entscheiden, da sie unsicher sind, wie viel Geld sie im Rahmen der Einspeisevergütung effektiv erhalten würden. Folglich fällt die Anlage dann ziemlich klein aus.
Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte man aber genau das Gegenteil tun, denn wir wissen genau, dass wir den Strom in Zukunft dringend brauchen werden. Aus diesem Grund würde ich darum eine möglichst grosse PV-Anlage bauen. Auch hier ist wieder Flexibilität das Stichwort – wer weiss, vielleicht tauscht man in ein paar Jahren die Ölheizung gegen eine moderne Wärmepumpe aus, die dann wiederum mehr Strom verbraucht. Oder aber man schafft sich ein Elektroauto an. Um dieses zu laden, ist man ebenfalls auf mehr Strom angewiesen. Die Integration von Flexibilitäten wie Wärmepumpen, Ladestationen oder Batteriespeichern wird somit sehr zentral werden.
Gibt es noch etwas, das du unserer Leserschaft zum Schluss mit auf den Weg geben möchtest?
Eines ist sicher: Unsere Gesellschaft wird sich immer mehr elektrifizieren. Der Weg führt weg von fossilen Energien und hin zu einem deutlich höheren Strombedarf – sei es wie gesagt durch Elektroautos, Wärmepumpen oder neue Technologien im Alltag. Wer heute in eine grosse Photovoltaikanlage investiert, sichert sich damit ein Stück Unabhängigkeit. Den selbst erzeugten Solarstrom hat man auf sicher und niemand kann ihn einem wegnehmen. Ausserdem stellt die Sonne keine Rechnung. Zu guter Letzt ist der eigene Strom ab dem Zeitpunkt, ab dem sich die PV-Anlage amortisiert hat, sogar gratis.
Experte im Interview: Christof Bucher
Christof Bucher leitet an der Berner Fachhochschule das Labor für Photovoltaiksysteme und ist dort ausserdem als Professor für Photovoltaiksysteme tätig.
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